StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Billigkeitsentscheidung

StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Billigkeitsentscheidung 

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 - 5 StR 454/06 (alt: 5 StR 136/04, 5 StR 290/05)

Zur Billigkeit einer Entschädigung gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG, wenn die Untersuchungshaft die verhängte Freiheitsstrafe übersteigt.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 beschlossen:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 7. Juli 2006 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung im vorgenannten Urteil dahingehend abgeändert, dass der Staatskasse die im zweiten Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen und not­wendigen Auslagen des Angeklagten zur Last fallen; im Übrigen trägt der Angeklagte die Kosten des Revisionsver­fahrens. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Beschwerde, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt; die Staatskasse hat die insoweit entstandenen gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Angeklagten je zur Hälfte zu tragen. 

3. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Entschädi­gungspflicht aufgehoben. Dem Angeklagten wird dem Grunde nach Entschädigung für die über die Gesamtfreiheits­strafe hinausgehende Dauer der Untersuchungshaft gewährt. Die Staatskasse trägt die Kosten dieses Beschwerdever­fahrens und die insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

G r ü n d e

Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dagegen kann auf seine Kostenbeschwerde und seine Beschwerde gegen die Versa­gung der Entschädigung das Urteil des Landgerichts hinsichtlich dieser Nebenentscheidungen keinen Bestand haben. 

1. Die zulässige sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im landgerichtlichen Urteil (§ 464 Abs. 3 StPO) hat teilweise Erfolg. Das Landgericht hat den Teilerfolg im zweiten Revisionsverfahren, den der Angeklagte durch die Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens erzielt hat, nicht ausreichend berücksichtigt. Nachdem der Angeklagte im ersten Revisionsverfahren vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen und die Sache an das Land­gericht zur Bildung einer neuen Gesamtstrafe zurückverwiesen wurde (BGH NJW 2004, 2603), hat der Bundesge­richtshof im zweiten Durchgang die vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Senat hält es deshalb für billig (§ 473 Abs. 4 Satz 2 StPO), dass die gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Angeklagten, der durch das zweite Revisionsverfahren eine beträchtliche Verkürzung der Gesamtstrafe um fünf Monate erzielt hat, insoweit insgesamt der Staatskasse auferlegt werden. Die übrigen Kosten seiner Revision, die im dritten Durchgang letztlich ohne Erfolg geblieben ist, trägt der Angeklagte ebenso wie seine ihm weiterhin entstandenen notwendigen Auslagen. Der Teilerfolg seiner Kostenbeschwerde recht­fertigt es, hinsichtlich der Kosten der Kostenbeschwerde und seiner diesbezüglichen notwendigen Auslagen eine hälftige Quotelung vorzunehmen. 

2. Die nach § 8 Abs. 3 StrEG zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Entschädi­gung hat Erfolg. Das Landgericht hat für die Dauer der vollzogenen Untersuchungshaft, soweit sie mit knapp drei­einhalb Monaten die letztlich rechtskräftig verhängte Gesamtfreiheitsstrafe überstieg, eine Entschädigung abgelehnt, da sie nicht der Billigkeit entspreche (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG). Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht sein Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Ob eine Entschädigung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG der Billigkeit entspricht, ist aufgrund einer Gesamtabwägung zu beurteilen (BGH GA 1975, 208; BGHR StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Untersuchungshaft 4). Hier war neben der nicht unerheblichen überschießenden Dauer der Untersuchungshaft auch die besondere Härte zu berücksichtigen, die durch den faktischen Vorwegvollzug der Strafe im Wege der Untersuchungshaft für den Angeklagten entstanden ist. Als nicht vorbestrafter Erstverbüßer hätte er bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf Vollzugslockerungen hoffen können, eine Reststrafaussetzung hätte nahe gelegen. Die von ihm verbüßte Untersuchungshaft, die entsprechende Lockerungen nicht erlaubt, stellt im Vergleich hierzu dagegen eine zusätzliche Härte dar, zumal der Angeklagte weiter durch eine Trennungsanordnung belastet war, was ihn – nach den Feststellungen des Landgerichts – während der Untersuchungshaft zeitweilig nochmals erheblich einschränkte, und er unter einer zusätzlichen Isolierung litt. Auch der weitere Gesichtspunkt des Landge­richts, wonach die besondere Vollzugssituation bereits in die Bildung der Gesamtstrafe eingeflossen sei, vermag hier die Entschädigung nicht auszuschließen. Zwar trifft zu, dass die Berücksichtigung eines solchen Umstandes im Rahmen der Strafzumessung bei der Prüfung der Billigkeit Bedeutung erlangen kann (BGHR StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Untersuchungshaft 4). Im vorliegenden Fall kann der Senat jedoch ausschließen, dass die lange Dauer des Vollzugs der Untersuchungshaft im Rahmen der Gesamtstrafenbildung ein derartiges Gewicht erlangt hat, dass aus Billig­keitsgründen die Versagung einer Entschädigung gerechtfertigt ist. Angesichts einer Einsatzstrafe von einem Jahr und dem ausgeprägten zeitlichen und situativen Zusammenhang der Taten wäre eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe, insbesondere vor dem Hintergrund des mittlerweile eingetretenen Zeitablaufs, schon ohne die Berücksichtigung der unangemessen langen Dauer der Untersuchungshaft kaum vertretbar. Hinsichtlich des rechtlichen Rahmens der Ge­samtstrafenbildung wird ergänzend auf die Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung im zweiten Revisionsverfahren (Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 290/05) Bezug genommen. Der vollständige Erfolg der sofortigen Beschwerde führt dazu, dass die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt.

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