StGB § 46a Nr. 1 Täter-Opfer-Ausgleich

StGB § 46a Nr. 1 Täter-Opfer-Ausgleich 

BGH, Urt. v. 07.12.2005 -1 StR 287/05 –
 
Zu den Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs i.S.d. § 46a Nr. 1 StGB
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. März 2005 im Strafaus­spruch in den Fällen II.1. und II.3. sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgeho­ben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, wegen sexueller Nötigung sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Des Weiteren hat das Landgericht dem Angeklagten die Fahrer­laubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer neuen Fahrer­laubnis ausgesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.1. und II.3. und den Gesamtstrafenausspruch beschränkten Revision greift die Staatsanwaltschaft mit der Sachbeschwerde die Bemessung der Freiheitsstrafen an. Sie wendet sich dabei gegen die jeweils mit einem Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB begründete Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. Das Landgericht hat unter anderem folgende Feststellungen getroffen:
1. (Fall II.1.): Am 9. März 2003 saß der Angeklagte als Beifahrer in dem von C. gesteuerten Pkw - auf der Rückbank saß die zur Tatzeit 15 Jahre alte G. , als dieser den Wagen auf dem Hinterhof eines Autohauses in V. parkte. Nachdem C. das Fahrzeug in der Absicht verlassen hatte, sich in einem nahe gelegenen Fastfood-Restaurant etwas zum Essen zu kaufen, stieg der Angeklagte vom Beifahrersitz auf die Rückbank zu der Geschädig­ten G. . Er verriegelte den Pkw von innen, legte sodann seinen Arm um G. und griff ihr entgegen deren körperlichen Widerstand über der Kleidung an die Brust und ebenfalls über der Kleidung zwischen die Beine in Richtung Ge­schlechtsteil. Er versuchte sodann, der Geschädigten G. die Hose zu öffnen, um weitere sexuelle Handlungen an ihrem Geschlechtsteil vorzunehmen. Jedoch gelang es dieser, dem Angeklagten einen Ellenbogen ins Gesicht zu schlagen, worauf er kurz von ihr abließ. Die Geschädigte G. nutzte diese Gelegenheit, um das Fahrzeug zu öffnen und zu entfliehen.
2. (Fall II. 3.): Am selben Abend des 8. Juni 2004 fuhr der Angeklagte in einem Pkw Opel in S. umher und bemerkte die zur Tatzeit 17 Jahre neun Monate alte Geschädigte F. , die zusammen mit ihrem Bekannten St. zu Fuß unterwegs war. Er sprach die beiden, ihm bis dahin unbekannten Personen, an. Er fragte sie dann, ob sie "ein paar Stadtrunden" mit ihm drehen würden, worauf diese in den Pkw einstiegen. Nachdem man an einer Tankstelle Bier eingekauft hatte, parkte der Angeklagte das Fahrzeug auf dem Parkplatz eines Lebensmittelmarktes. Als der Bekannte der Ge­schädigten F. das Fahrzeug verlassen hatte, um in der Nähe Kaugummi zu kaufen, fuhr der Angeklagte mit dem Fahrzeug und der Geschädigten weg unter dem Vorwand, mit ihr "reden zu wollen". Er hielt in der Folge auf einem anderen Parkplatz an, fasste der Geschädigten an den Schenkel und kurbelte sodann den Beifahrersitz des Fahrzeugs, auf dem die Geschädigte Platz genommen hatte, nach hinten. Mit einer Hand hielt er beide Hände der Geschädigten über deren Kopf fest und schob dann gegen ihren Widerstand den Stoffrock nach oben, dann zog er den Slip der Geschädigten aus und führte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis kurz vor dem Samenerguss durch. Bei diesem Geschehen weinte die Geschädigte und bat den Angeklagten aufzuhören. Dies hielt ihn jedoch nicht ab. Kurz vor dem Samenerguss zog er sein Glied aus der Scheide und ejakulierte auf den Unterleib und den Rock. In der Folge brachte er die Geschädigte zu dem Parkplatz zurück, auf welchem der Bekannte St. wartete.
3. Zur Anwendung des § 46a StGB in beiden vorgenannten Fällen hat die Strafkammer folgendes ausgeführt: Vor der Hauptverhandlung hat die Kammer auf Anregung des Verteidigers des Angeklagten mit diesem und der Staatsanwaltschaft ein Gespräch geführt, "wie alle Beteiligten die Sachlage vorläufig einordneten". Die Kammer teilte hierbei allen Beteiligten mit, "dass, für den Fall, dass ein umfassendes Geständnis des Angeklagten in Bezug auf alle drei Anklagepunkte erfolge und sich in der Hauptverhandlung ergäbe, dass die Voraussetzungen eines Täter­-Opfer-Ausgleiches vorliegen," … "durchaus noch die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren in Betracht komme". Nachdem die Staatsanwaltschaft bei diesem Gespräch zunächst keine Entscheidung über ihr Ein­verständnis mit einem solchen Procedere getroffen hatte, teilte sie in der Hauptverhandlung noch vor Vernehmung des Angeklagten zur Person und zur Sache mit, dass sie mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren oder darun­ter nicht einverstanden sei. Des Weiteren hat der Verteidiger in der Hauptverhandlung mitgeteilt, dass der Angeklag­te an ihn zu Gunsten der Geschädigten G. 2.500 € sowie zu Gunsten der Geschädigten F. 4.000 € überwiesen habe, erbunden mit dem Auftrag zur Weiterleitung der Geldbeträge an die Geschädigten. Allerdings seien diese Überwei­sungen aus seinem, des Verteidigers Verschulden, bislang versäumt worden; sie würden jedoch nun unverzüglich vorgenommen werden. Der Angeklagte legte in der Hauptverhandlung mittels einer vom Verteidiger verlesenen Erklärung ein Geständnis zu den ihm vor­geworfenen Taten ab und teilte mit, dass er die Taten bereue. Von einer schriftlichen Entschuldigung vor der Haupt­verhandlung habe er auf Anraten seines Anwaltes abgesehen, weil dieser befürchtet habe, dass die Geschädigten bei Erhalt eines Entschuldigungsbriefes erneut leiden müssten. Äußerungen der beiden Geschädigten hierzu und deren Auffassung über eine Wiedergutmachung -entweder direkt oder über Bezugspersonen eingeholt - finden sich in den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Bejahung der Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs des hier in erster Linie in Betracht kommenden § 46a Nr. 1 StGB durch das Landgericht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden Teil" wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt dies grundsätz­lich ein Bemühen des Täters um einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das ein­seitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt dazu nicht (BGH NStZ 1995, 492; NJW 2001, 2557; NStZ 2002, 29; BGH, Urt. vom 27. August 2002 - 1 StR 204/02). Wenngleich ein "Wiedergutmachungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung ist, so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen. Dabei reicht aber allein die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen nicht aus; insbesondere kann dadurch nicht das Erfordernis eines kommunikativen Pro­zesses zwischen Täter und Opfer ersetzt werden. Aus der Sicht des Opfers ist es für die verlangte Kommunikation unabdingbar, dass es in den Dialog mit dem Täter über die zur Wiedergutmachung erforderlichen Leistungen einbe­zogen wird. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 -2 StR 73/02 -, NStZ 2002, 646; Urt. vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02). Dies ergibt sich schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Ge­nugtuung für das Opfer führen können. Lässt sich das Tatopfer -etwa weil das Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen Ausgleich unmöglich machen -auf einen kommunikativen Prozess nicht ein, so ist das Verfahren für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht geeignet (vgl. BTDrucks. 14/1928 S. 8; BGH aaO). In gleicher Weise fehlt es an einem kommunikativen Prozess und damit an den Voraussetzungen eines Täter­Opfer-Ausgleichs, wenn das Opfer überhaupt nicht - sei es persönlich oder durch einen Vertreter bzw. Vermittler - beteiligt ist. Dass dem Opfer eine solche Beteiligung möglich gemacht wird, liegt nach der Intention der gesetzlichen Regelung im Wesentlichen im Verantwortungsbereich des Täters, das heißt, seine Bemühungen müssen naturgemäß zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten. Regelmäßig sind daher tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat, wie sicher die Erfüllung einer etwaigen Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist und welche Folgen diese Ver­pflichtung für den Täter haben wird (BGH NStZ 2002, 29; BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 - 1 StR 500/01). Darüber hinaus kann der Tatrichter nur dann die Angemessenheit einer etwaigen Schmerzensgeldverpflichtung beur­teilen, wenn er ausreichende Feststellungen dazu trifft, welche Schäden das Opfer durch die Tat erlitten hat und gegebenenfalls welche Folgen fortbestehen. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der weiteren Umstän­de hat der Tatrichter in "wertender Betrachtung" und schließlich nach Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden, ob er die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs annimmt und danach von der so eröffneten Milderungsmöglich­keit Gebrauch macht.
2. Das Landgericht hat diese Maßstäbe nicht ausreichend beachtet. Die Urteilsgründe belegen die Voraussetzungen eines erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleichs nicht.
a) Schon ein ernsthaftes, auf einen Ausgleich mit der Geschädigten gerichtetes Bemühen des Angeklagten nach § 46a Nr. 1 StGB ist den Urteilsgründen nicht sicher zu entnehmen. Die Strafkammer hat bei der Unterredung mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor der Hauptverhandlung bereits auf einen Täter-Opfer-Ausgleich hingewirkt. Dennoch hat der Angeklagte keine Bemühungen entfaltet, um entweder direkt oder über vermittelnde Dritte, gege­benenfalls auch seinen Verteidiger, mit dem Opfer in Kontakt zu treten und einen Ausgleich zu versuchen. Hierbei kann ihn seine Erklärung nicht entlasten, er habe auf Anraten seines Verteidigers von einer schriftlichen Entschuldi­gung abgesehen; denn die behauptete Befürchtung, die Opfer müssten bei Erhalt des Briefes "erneut leiden", müsste in allen Fällen von Sexualdelikten gelten und würde damit einen Täter-Opfer-Ausgleich bei solchen Taten grundsätz­lich ausschließen. Spätestens im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der Hauptverhandlung, zu welcher die Geschädigten zu­nächst geladen waren und diese sich damit ohnehin gedanklich mit dem jeweiligen Geschehen auseinandersetzen mussten, wäre eine Kontaktaufnahme in der beschriebenen Form erforderlich und möglich gewesen. Allein die Er­klärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, dass er die Taten bereue und sich bei den Geschädigten entschul­digen wolle, reicht nicht hin, zumal diese nicht bei dieser Erklärung anwesend waren.
b) Auch genügen die vom Verteidiger zugesagten Zahlungen von Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 € zugunsten der Geschädigten G. bzw. von 4.000 € zugunsten der Geschädigten F. den Anforderungen des § 46a Nr. 1 StGB nicht. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, der Angeklagte habe diese Beträge als Schmerzensgeld zur Verfügung gestellt und der Verteidiger habe zugesagt, sie den Geschädigten zu übermitteln. Wie der Angeklagte das Geld auf­gebracht hat und ob diese Zahlungen tatsächlich seinen finanziellen Möglichkeiten entsprechen, hat die Strafkammer ebenso wenig dargelegt wie die für die Angemessenheit der Zahlungen eventuell verbliebenen Tatfolgen sowie die für die Beurteilung der Genugtuungsfunktion als wesentlich anzusehende Akzeptanz durch die Tatopfer.
c) Schließlich ergibt sich aus den Urteilsgründen kein Anhalt dafür, dass die Geschädigten den Täter-Opfer-Ausgleich "ernsthaft mitgetragen" und diesen als friedensstiftende Konfliktregelung "innerlich akzeptiert" haben. Vielmehr können die Zahlungen an die Geschädigten ohne jede vorherige Einbeziehung in einen kommunikativen Prozess allein zur Vermeidung einer längeren Freiheitsstrafe für den Angeklagten erbracht erscheinen, was für einen Täter-Opfer-Ausgleich nicht genügen würde.
3. Der Senat hat mit Blick auf UA S. 7 von der Möglichkeit gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 I. Halbs. StPO Gebrauch gemacht und die Sache an das Landgericht Freiburg verwiesen (vgl. hierzu auch KK-StPO Kuckein § 354 Rdn. 37). 
Ihr Anwalt Strafrecht Hamburg - Kanzlei Rechtsanwälte Lauenburg & Kopietz