Corona Corona, Begriff der Ansammlung, verfassungskonforme Auslegung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 08.03.2021 - 3 OWi 6 SsRs 395/20

Leitsatz: Eine Ansammlung im Sinne der 4. CoBeVo Rheinland-Pfalz erfordert ein gezieltes Zusammensein von Menschen an einem Ort, um der kollektiven Ansammlung willen, was nicht schon bei jeder bloß zufällig gegebenen gleichzeitigen Anwesenheit von mehreren Menschen erfüllt ist.


3 OWi 6 SsRs 395/20

Oberlandesgericht Koblenz

Beschluss

In der Bußgeldsache
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Kai Schnabel,
Ludwig-Schwamb-Straße 3, 67574 Osthofen

wegen Verstoßes gegen die 4. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (4. CoBeVO)
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 8. März 2021 beschlossen:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Worms vom 3. September 2020 aufgehoben und der Betroffene freigesprochen
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Das Verfahren betrifft die Auslegung des Begriffs der untersagten „Ansammlung von Personen" im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 der Vierten Corona-Bekämpfungsverordnung Rhein-land-Pfalz (4. CoBeVO) vom 17. April 2020.

I.

Die Kreisverwaltung Mainz-Bingen hat mit Bußgeldbescheid vom 9. Juni 2020 gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO ein Bußgeld von 200,- Euro festgesetzt.

Im Verfahren über den hiergegen eingelegten Einspruch des Betroffen hat das Amtsgericht Worms den Betroffenen zu einem Bußgeld von 100,- Euro verurteilt.

Nach den getroffenen Feststellungen ging der Betroffene am 27. April 2020 mit dem befreundeten Zeugen pp. zum Sparkassenautomat in der pp. in pp, um dort Geld abzuheben. Dort angekommen, trafen sie auf den Zeugen pp., der vor der Sparkasse mit seinem Mofa wartete. In der Sparkasse hielt sich zu diesem Zeitpunkt gerade eine befreundete vierte Person auf, die mit dem Zeugen pp. zur Sparkasse gekommen war, um ebenfalls Geld abzuheben. Nachdem die vierte Person, deren Namen das Amtsgericht nicht festgestellt hat, aus der Sparkasse gekommen war, standen die vier Personen „ungefähr ein bis zwei Minuten" vor der Sparkasse im Freien im Halbkreis. Zwischen ihnen stand das „Moped" (nach der anderweitig getroffenen Feststellung soll es sich um ein Mofa gehandelt haben, Anm. des Senats), so dass insgesamt ein Abstand von 1,5 bis 2 Metern zwischen den Personenpaaren, dem Betroffenen und dem Zeugen pp. einerseits sowie dem Zeugen pp. und der vierten Person andererseits, gegeben war. Eine Verabredung zwischen ihnen hatte zuvor nicht stattgefunden. Während dieser Zusammenkunft unterhielt sich der Betroffene mit dem ihm bekannten Zeugen pp.,
wobei Ausgangspunkt des kurzen Gesprächs war, dass der Betroffene dem Zeugen anlässlich des Todes von dessen Großmutter, welche kurze Zeit davor verstorben war, kondolierte. Dabei wurde die Gruppe von Polizeibeamten beobachtet, angehalten und einer Personenkontrolle unterzogen, welche ergab, dass alle vier Personen unterschiedlichen Haushalten angehörten.

Das Amtsgericht hat in diesem Verhalten des Betroffenen einen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO verbotenen Aufenthalt im öffentlich Raum gesehen. Der Begriff der „Ansammlung" erfasse im Unterschied zum Versammlungsbegriff auch zufällige Treffen und Zusammenkünfte, auch wenn sich diese nur über einen kurzen Zeitraum erstreckten.

2. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er zugleich beantragt. Er ist der Auffassung, dass die zufällige, nur kurz andauernde Begegnung mit dem Zeugen pp. und dessen Begleiter vor dem Sparkassenautomaten keine Ansammlung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO und somit auch keinen verbotswidrigen Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 der 4. CoBeVO darstelle. Der Begriff der „Ansammlung" bedürfe einer einschränkenden Auslegung, da ansonsten jede zufällige, nicht vermeidbare Begegnung mit mehreren Personen automatisch zu einem verbotswidrigen, bußgeldbewehrten Aufenthalt führen würde. Es könne nicht sein, dass sozialadäquates Verhalten auf diese Art und Weise pönalisiert werde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, in der Sache jedoch als unbegründet zu verwerfen. Sie vertritt die Auffassung, das Amtsgericht habe die Vorschrift des § 4 der 4. CoBeVO zutreffend ausgelegt und angewendet. Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 9. Februar 2021 eine Gegenerklärung abgeben lassen.

3. Der für die Bearbeitung des Falles zuständige Einzelrichter des Senats hat das Rechtsmittel des Betroffenen mit Beschluss vom 12. Februar 2021 zugelassen und die Sache zur Fortbildung des Rechts gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Senat übertragen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt und begründet worden. Sie zieht die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und die Freisprechung des Betroffenen nach sich.

Das Amtsgericht hat verkannt, dass der Begriff der „Ansammlung" im Sinne von § 4 Abs 2 Satz 1 der 4. CoBeVO bei verfassungskonformer Auslegung unter Wahrung des Übermaßverbots einer einschränkenden Auslegung bedarf, was dazu führt, dass das hier festgestellte Verhalten keine Ordnungswidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift erfüllt.

1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der 4. CoBeVO Rheinland-Pfalz vom 17. April 2020 war der Aufenthalt zum hier relevanten Tatzeitpunkt (27.04.2020) im Gebiet des Bundeslandes Rhein-land-Pfalz nur alleine oder mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person und im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands zulässig. Zu anderen Personen war in der Öffentlichkeit, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten (Satz 2). Jede darüber hinausgehende Ansammlung von Personen war vorbehaltlich des Selbstorganisationsrecht des Landtags und der Gebietskörperschaften gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO untersagt. Ausgenommen waren nur Ansammlungen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Rechtspflege (einschließlich der Notariate und Rechtsanwaltskanzleien) oder der Daseinsvorsorge zu dienen bestimmt waren (§ 4 Abs. 2 S. 2). § 3 der Vorschrift nimmt weitere, den vorliegenden Fall nicht berührende Ansammlungen aus dem verbotenen Aufenthalt heraus.

2. Zutreffend hat das Amtsgericht § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO in der Fassung vom 17. April 2020 angewandt. Auch wenn die zur Tatzeit geltende Rechtsverordnung bis zum 2. Mai 2020 befristet und somit zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts am 3. September 2020 nicht mehr in Kraft war, steht dies ihrer Anwendung nicht entgegen. Gemäß § 4 Abs. 4 OWiG ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auf Handlungen, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist. Der dieser Vorschrift zugrunde liegende Gesetzesbegriff ist weit aufzufassen und umfasst nicht nur Gesetze im formellen, sondern auch solche im materiellen Sinne wie Rechtsverordnungen (KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. § 4 Rn. 37 f.; MüKo-EGStPO/Putzke, 1. Aufl. § 7 Rn. 2).

3. Das für den öffentlichen Raum bestimmte Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei in einem Haushalt lebenden Personen in § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 iVm. § 15 Nr. 26 der 4.CoBeVO ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.

a) Die Regelung des § 4 der 4. CoBeVO findet ihre Rechtsgrundlage in § 32 Satz 1 iVm. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 12020, 587).

Der Senat schließt sich der in der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, wonach die Verordnungsermächtigung der §§ 32,'28 Abs. 1 IfSG nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (so OLG Hamm, Beschl. 4 Rbs 446/20 v. 28.01.2021; OVG Münster, Beschl. 13 B 398/20 NE.20 v. 06.04.2020 - Rn. 36 ff. n. juris; Bayerischer VGH, Beschl. 20 CS 20.632 v. 30.03.2020; Hessischer VGH, Beschl. 8 B 892/20.N v. 07.04.2020; OVG Bremen, Beschl. 1 B 97/20 v. 09.04.2020, alle zitiert n. juris).

Insbesondere ergibt sich aus dem Umstand, dass das mit tiefgreifenden Grundrechtseingriffen verbundene Ansammlungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO im Wege der Rechtsverordnung durch die Exekutive erlassen wurde, kein Verstoß gegen den aus Art. 80 Abs. 1 GG folgenden Parlamentsvorbehalt.

Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. Wesentlichkeitsvorbehalt). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab (BVerfG, Beschl. 1 BvR 402/87 v. 27.11.1990; Urt. 2 BvR 1436/02 v. 24.09.2003, beides zit. n. juris). Auch Gesetze, welche zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, müssen den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, so dass die wesentlichen Entscheidungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber erfolgen müssen und nicht an die Exekutive delegiert werden dürfen. Dementsprechend muss die Ermächtigungsgrundlage nach Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz hinreichend bestimmt sein, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Ermächtigungsnorm ihrem Wortlaut nach so genau wie nur irgend möglich gefasst ist. Dabei sind umso strengere Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung zu fordern, je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von der Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind (vgl. OVG Münster und OLG Hamm, jeweils aaO.). Andererseits hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Regelung auch von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. OVG Münster, aaO.; s. auch BVerfG, Beschl. 2 BvL 2/01 v. 18.07.2005 u. 2 BvL 1/15 v. 21.09.2016, jeweils n. juris).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass sich das Infektionsschutzrecht nicht nur durch eine komplexe Regelungsmaterie, sondern insbesondere auch durch seine Vielgestaltigkeit und im Hinblick auf die Dynamik des Infektionsgeschehens durch einen hohen Anpassungsbedarf der gesetzlichen Regelungen an das jeweils konkrete Infektionsgeschehen auszeichnet. Vor diesem Hintergrund ist es dem Gesetzgeber angesichts der Anforderungen und der zeitlichen Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens nicht immer möglich, die erforderlichen Schutzmaßnahmen vorauszusehen und diese in der nötigen Geschwindigkeit auf die konkrete Situation angepasst in ein Gesetz zu fassen (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. 11 S 104/20 v. 18.11.2020 - BeckRS 2020, 31502). Auf die mit einem dynamischen Infektionsgeschehen wie bei dem Corona-Virus COVID-19 verbundene Anpassungsbedürftigkeit kann die Exekutive aufgrund ihrer Handlungsflexibilität zeitnah besser als das Parlament im förmlichen Gesetzgebungsverfahren reagieren, so dass gewährleistet ist, dass die Behörden bei einer Pandemie nationalen Ausmaßes flexibel, an die örtlichen Gegebenheiten angepasst und damit effektiver reagieren können (vgl. OLG Hamm aaO.; Merz (Hrsg.), CO-VuR 2021, 14).

Dies zugrunde gelegt, ist mit § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, bei dem es sich um eine Konkretisierung der in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG normierten Generalklausel handelt (OLG Hamm, aaO.; OVG Bautzen, Beschl. 3 B 357/20 v. 11.11.2020 - BeckRS 2020, 30493; OVG Berlin-Brandenburg, aaO.; Bay. VGH, Beschl. 20 CS 20-61 v. 30.03.2020 - NJW 2020, 1240; Kießling, InfektionsschutzG, 1. Aufl. 2020, § 28 Rn. 3; Merz, aaO.) eine hinreichend bestimmte Ermächtigung dafür vorhanden, gewisse, dem Infektionsgeschehen Vorschub leistende An-sammlungen im öffentlichen Raum zu verbieten, um das hohe Risiko der Weiterverbreitung des Coronavirus zu verringern. Soweit auch § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG unter der Beschränkung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf "notwendige Schutzmaßnahmen" steht, ist auch das Ausmaß der dem Verordnungsgeber erteilten Rechtsmacht durch den Parlamentsgesetzgeber hinreichend bestimmt worden (OVG Münster, aaO.).

b) Für die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, wenn eine übertragbare Krankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll. Dass es sich bei dem Coronavirus SARS-CoV-2 um eine solche übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, unterliegt keinem Zweifel und wird auch von dem Betroffenen nicht in Abrede gestellt.

In § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG werden die Landesregierungen als zuständige Verordnungsgeber ermächtigt, Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen zu beschränken oder zu verbieten, wobei dies - wie die Bezugnahme auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG deutlich macht - unter dem Vorbehalt steht, dass ein Ansammlungsverbot „notwendig" sein muss und nur angeordnet und aufrechterhalten werden darf, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Diesen Voraussetzungen genügt § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeLVO, der den Aufenthalt im öffentlichen Raum mit mehr als einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person grundsätzlich verbietet. Das Ansammlungsverbot war zum Zeitpunkt seines Erlasses eine notwendige Schutzmaßnahme, da es zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Corona-Virus geboten war. An der Geeignetheit der Kontaktbeschränkung zu dem Zweck, die weitere Verbreitung des Sars-CoV-2-Virus einzudämmen, bestehen keine Zweifel. Es ist ferner nicht ersichtlich, dass es eine objektiv gleich geeignete, mildere Maßnahme gegeben hätte. In Anbetracht der hohen Infektiosität bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen erfolgt ein hoher Anteil von Übertragungen unbemerkt, so dass diese durch eine Verhaltensänderung der Betroffenen allein nicht wirksam verhindert werden können (vgl. OVG Münster, aaO.). Zudem handelt es sich bei einem Ansammlungsverbot im Vergleich etwa zu einer Ausgangsbeschränkung ersichtlich um das mildere Mittel. Das Abstandsgebot des § 4 Abs. 1 Satz 2 der 4. CoBeLVO allein stellt kein gleich geeignetes, milderes Mittel dar. Denn das Ansammlungsverbot soll nach dem Willen des Verordnungsgebers dazu dienen, Zusammentreffen mehrerer Personen generell so weit wie möglich zu reduzieren, um die Ansteckung innerhalb einer Gruppe und die anschließende Weiterverbreitung des Sars-CoV-2-Virus durch eine Vielzahl von Kontaktpersonen bestmöglich auszuschließen, während das Abstandsgebot bezweckt, Ansteckungsrisiken insbesondere bei unvermeidbaren Begegnungen von Personen jenseits von Ansammlungen, etwa beim Einkauf oder auf dem Weg von und zur Arbeit, nach Möglichkeit auszuschließen, jedenfalls aber zu verringern. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 Metern das Risiko einer Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus zwar erheblich reduziert, jedoch nicht in gleichem Ausmaß - wie ein Verbot von Treffen mehrerer Personen -vollständig auszuschließen vermag. Schließlich ist bzw. war die Beschränkung von Ansammlungen im öffentlichen Raum mit Blick auf den vom Verordnungsgeber verfolgten Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter und die - gerade zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 - von zahlreichen Unbekannten gekennzeichnete und stetig fortschreitende wissenschaftliche Erkenntnislage noch als angemessen anzusehen. Zwar führte das Ansammlungsverbot zu Grundrechtsbeschränkungen erheblichen Ausmaßes, wobei in erster Linie das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen war. Im Rahmen der gebotenen Abwägung ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine vollständige Beschränkung der sozialen Kontakte handelte, sondern das Verbot nur Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum betraf. Treffen mit mehr als zwei Personen in häuslicher Umgebung waren - was auf den gegenwärtigen Zustand aller-dings nicht mehr trifft und diesbezüglich einer strengen Überprüfung am Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG bedarf - nicht verboten. Zudem wurde die Eingriffsintensität durch die in § 4 Abs. 3 der 4. CoBeVO enthaltenen Ausnahmen erheblich abgemildert und die Gültigkeits-dauer der Verordnung zeitlich begrenzt.

3. Nach den vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war vorliegend in der Zusammenkunft des Betroffenen mit den drei weiteren Personen jedoch keine verbotene Ansammlung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO zu sehen.

a) Der Begriff der „Ansammlung" ist weder in der 4. CoBeVO noch im IfSG definiert. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 19. Januar 2000 (BT-Drs. 14/2530, S. 74 f.), auf deren Grundlage das IfSG erlassen wurde, sollten mit dem Begriff „Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen" alle „Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen", erfasst werden. Dies entspricht auch der Definition einer Ansammlung im Versammlungsrecht, wo sie - in Abgrenzung zur Versammlung - als ein bloßes tatsächliches Zusammentreffen von zwei oder mehr Personen ohne gemeinsamen Zweck angesehen wird (vgl. Maunz/Dürig/Depenheuer, GG, 92. EL August 2020, Art. 8. Rn. 44, 46).

b) Allerdings darf der Begriff der Ansammlung in § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO nicht in diesem weiten Sinne ausgelegt werden; dies würde in unverhältnismäßiger Weise das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränken.
Gegen eine derart weite Auslegung des Begriffes der „Ansammlung" in § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO spricht, dass ansonsten bereits jede bloß kurzzeitige oder zufällige gleich-zeitige Anwesenheit von zwei oder mehr Menschen im öffentlichen Raum, etwa im Rahmen des Einkaufens zur Deckung des Lebensbedarf oder bei einem Spaziergang eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde, was nicht der Wille des Verordnungsgebers gewesen sein dürfte.

Der Begriff der Ansammlung im Sinne der 4. CoBeVo bedarf deshalb einer verfassungskonformen Auslegung, welche das öffentliche Interesse an der Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens in einen angemessenen und vernünftigen Bezug zu den Bedürfnissen und unantastbaren Rechten der Bürger setzt.

Dies hat in erster Linie dadurch zu geschehen, dass einer Ansammlung in diesem Sinn ein innerer Bezug zugrunde liegen muss, d.h. der Wille und die Absicht, für einen längeren als nur flüchtigen Moment an einem bestimmten Ort zu verweilen. Eine Ansammlung im Rahmen der Vorschriften zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie erfordert deshalb ein gezieltes Zusammensein von Menschen an einem Ort, um der kollektiven Ansammlung willen, was nicht schon bei jeder bloß zufällig gegebenen gleichzeitigen Anwesenheit von mehrerer Menschen erfüllt ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. 13 MN 192/20 v. 11.06.2020 - juris; OLG Hamm, Beschl. 4 RBs 446/20 v. 28.01.2021, Leitsatz 3 n. juris).

Weiter bedarf es einer räumlichen Beschränkung dahingehend, dass eine Ansammlung auch dann nicht gegeben ist, wenn eine über den Mindestabstand von 1,5 Metern (§ 4 Abs. 1 S. 1 d. 4. CoBeVO) hinausgehende deutliche Trennung bzw. Distanz zwischen den Angesammelten besteht, welche - insbesondere etwa beim Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes - eine Ansteckung der anderen Betroffenen des Zusammensein von vornherein ausschließt. Denn im Falle der verlässlichen Wahrung eines die Übertragung der Krankheit ausschließenden Sicherheitsabstands ist das Verbot einer Ansammlung als zur Verhinderung der Verbreitung der übertragbaren Krankheit nicht mehr erforderlich anzusehen (OLG Hamm, Beschl. 4 RBs 446/20 v. 28.01.2021, Rn. 35 n. juris mwN.).

Darüber hinaus ist auch der zwischen den Angesammelten bestehende Sozialbezug zu berücksichtigen. Treffen sich Angehörige, Kollegen, oder sonstige bekannte bzw. befreundete Personen aus verschiedenen Haushalten im öffentlichen Raum zufällig, also ohne vorherige Verabredung, so muss es ihnen möglich und gestattet sein, unter Wahrung des Mindestabstands von 1,5 Metern ein kurzes Gespräch zu führen, etwa um sich zu begrüßen, nach dem gegenseitigen Wohlbefinden zu erkundigen oder ein bestehendes Problem kurz anzusprechen. Ein solches, vom Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschütztes Verhalten darf aus Gründen der Wahrung des sozialen Friedens unter den Bürgern nicht pönalisiert werden; der Infektionsschutz als öffentliches Interesse hat insoweit zurückzustehen. Zu berücksichtigen ist, dass den Bürgern nach der Fassung der 4. CoBeVO wegen des Mindestabstands bereits das Begrüßen durch Händeschütteln oder eine Umarmung untersagt ist, was bereits einen sehr tiefgreifenden, in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie dagewesenen Eingriff in ihre Freiheitsrechte darstellt.

c) Von einem solchen, verfassungskonform ausgelegten Ansammlungsbegriff ausgehend, ist in dem von dem Amtsgericht festgestellten Verhalten des Betroffenen noch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO zu sehen. Eine geplante Zusammenkunft lag dem zufälligen Zusammentreffen mit seinen Freunden bzw. Bekannten vor der Sparkasse nicht zugrunde. Selbst wenn die Verweildauer von ein bis zwei Minuten hier objektiv nicht mehr als rein flüchtige Begegnung angesehen werden kann, so ist zu Gunsten des Betroffenen doch davon auszugehen, dass seine Intention von vornherein nur auf eine kurze Kontaktaufnahme im Rahmen einer solchen ausgerichtet war, nämlich - was sozialadäquat und erwünscht ist - seinem Bekannten zum Tod einer nahen Angehörigen zu kondolieren. Dass das Gespräch hierüber hinausging und der Betroffene sich damit einverstanden gezeigt hätte, die zufällige Begegnung für ein längerfristiges Zusammensein auszunutzen, ist den Feststellungen des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Zwar kann ein mehrere Minuten andauerndes Gespräch ein starkes Indiz für die Intention eines Verweilens an der Örtlichkeit und damit für das Vorliegen einer bußgeldbewehrten „Ansammlung" im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO sein, hinreichende Anhaltspunkte hierfür bestehen im vorliegenden Fall allerdings nicht.

Da die Feststellungen des Amtsgerichts ausreichend sind, um das Verhalten des Betroffenen an § 4 der 4. CoBeVO zu messen und weiterer Aufklärungsbedarf nicht besteht, entscheidet der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Betroffene an einer „Ansammlung" im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO beteiligt hat. Da er nach den Feststellungen des Amtsgerichts den gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der 4. CoBeVO vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten hat und auch kein anderer Ordnungswidrigkeitenverstoß in Betracht kommt, war er mit der Kostenfolge des § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen.