StGB §§ 73, 73a Anordnung des Verfalls bzgl. Bargeld, das nicht aus der Tat stammt

StGB §§ 73, 73a Anordnung des Verfalls bzgl. Bargeld, das nicht aus der Tat stammt
BGH, Urteil v. 7. September 2016 – 1 StR 326/16

1. Auch wenn es sich bei dem bei der Festnahme eines Angeklagten vorgefundenen und damit in seinem Vermögen vorhandenen Bargeld nicht mehr um solches handelt, das ihm jeweils als konkretes Entgelt für den Verkauf von Betäubungsmitteln von seinen Abnehmern übergeben worden ist, rührt es in der Regel im Ergebnis aus den abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten her und kann dem Verfall des Wertersatzes unterliegen.

2. Es entspricht dem mit dem Verfall und seinen Modifikationen verfolgten Gesetzeszweck, einem Straftäter jedenfalls dasjenige wieder zu entziehen, was er aus seiner Tat unrechtmäßig erlangt hat und im Zeitpunkt der Anordnungsentscheidung als realer Vermögensgegenstand bei ihm noch vorhanden ist.

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. März 2016 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem (anderen) Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Festlegung eines näher bezeichneten Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe ist bestimmt worden. Weiterhin hat das Landgericht Verfall des Wertersatzes in Höhe von 2.700 Euro angeordnet. - 139 - Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist ungeachtet des durch den Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten, auf die Aufhebung des Urteils über die Anordnung von Verfall des Wertersatzes beschränkten Antrags weiterhin unbeschränkt eingelegt. Einer wirksamen Beschränkung der unbeschränkt eingelegten Revision steht bereits das Fehlen der gemäß § 303 Satz 1 StPO erforderlichen Zustimmung des Generalbundesanwalts entgegen.

I.
1. Die getroffenen Feststellungen sind rechtsfehlerfrei. Sie beruhen im Wesentlichen auf dem überprüften Geständnis des Angeklagten. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch sowie die Aussprüche zu den Einzelstrafen und zu der Gesamtstrafe.

2. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), die nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen worden ist, und die Entscheidung zum Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe (§ 67 Abs. 2 Sätze 1, 2 und 3 StGB), enthalten keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

II. Die Anordnung von Verfall des Wertersatzes in Höhe von 2.700 Euro hält ebenfalls revisionsrechtlicher Prüfung stand.

1. Nach den zugehörigen Feststellungen hat der Angeklagte durch die verfahrensgegenständlichen Straftaten insgesamt 8.750 Euro im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt. Da das von ihm bei seiner Festnahme mitgeführte Bargeld im Gesamtwert von 2.700 Euro aber nicht einer der Taten, wegen derer der Angeklagte verurteilt worden ist, zugeordnet werden konnte, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des Verfalls des Wertersatzes gemäß § 73a Satz 1 StGB angenommen.

2. Auch die Anwendung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB weist keinen revisibelen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. a) Das Landgericht hat dem systematischen Verhältnis zwischen § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB und § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung getragen, indem es, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 mwN; Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, NStZRR 2015, 176, 177) folgend, zunächst die Voraussetzungen der Ermessensvorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB erörtert hat.

b)
aa) Nach dieser Vorschrift kann eine Verfallsanordnung bzw. eine Anordnung des Wertersatzverfalls unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Wenn hiernach auch ein Gegenwert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist, kann der Tatrichter von einer Verfallsanordnung absehen (siehe BGH, Urteile vom 2. Dezember 2004 – 3 StR 246/04, BGHR StGB § 73c Härte 10; vom 26. März 2009 – 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86; Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 Rn. 16; Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177; Beschluss vom 3. Februar 2016 – 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f.). Verfügt der Angeklagte oder der sonst von Verfallsentscheidungen Betroffene im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils nicht (mehr) über Vermögen, das dem Wert des Erlangten und damit grundsätzlich Abschöpfbarem entspricht, ist die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens aus § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB eröffnet (BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2016 – 1 StR 615/15, NStZ-RR 2016, 108 f. und vom 10. August 2016 – 1 StR 226/16 jeweils mwN; Urteil vom 10. März 2016 – 3 StR 347/15 Rn. 41).

bb) Dem hat das Tatgericht entsprochen. Das aus den verfahrensgegenständlichen Taten Erlangte bzw. dessen Wert ist ebenso festgestellt worden wie der Umstand, dass davon ausschließlich noch die bei dem Angeklagten bei seiner Festnahme aufgefundenen 2.700 Euro vorhanden waren. Auch die sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind festgestellt (UA S. 4).

cc) Die Ausübung des dem Landgericht in der Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB zustehenden Ermessens, die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes auf die gegenständlich vorhandenen 2.700 Euro zu beschränken, lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts näher BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2016 – 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f. und vom 10. August 2016 – 1 StR 226/16 jeweils mwN) erkennen. Insbesondere liegt kein Ermessensdefizit (BGH jeweils aaO) vor. Das Landgericht hat die bei dem Angeklagten ohnehin bereits vorhandenen Schulden ebenso in seine Ermessensausübung einbezogen wie die durch das hiesige Strafverfahren auf den Angeklagten zukommenden Kosten. Die Erwägung der Strafkammer, von einem über – die vorhandenen – 2.700 Euro hinausgehenden Wertersatzverfall abzusehen, um den in der Vergangenheit keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehenden Angeklagten nach dem Ende der Strafhaft nicht zu verleiten, zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation erneut Straftaten zu begehen, trägt den für die tatrichterliche Ermessensausübung maßgeblichen Kriterien (zu diesen BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177 f.; Beschluss vom 3. Februar 2016 – 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f. jeweils mwN) Rechnung. Ein Ermessensdefizit bezüglich § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB liegt auch insoweit nicht vor, als das Landgericht nicht Wertersatzverfall in einer geringeren Höhe als geschehen angeordnet oder ganz auf dessen Anordnung verzichtet hat. Es hat – wie bereits ausgeführt – die vorhandenen Schulden und das nahezu vollständige Fehlen von Erwerbseinkünften des Angeklagten in seine Ermessensausübung einbezogen. Weitere über die ohnehin vom Tatrichter angestellten Ermessenserwägungen waren rechtlich nicht veranlasst. Ebenso wenig hat das Landgericht den Maßstab für die Beurteilung, ob der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist, als Grundlage für die rechtsfehlerfreie Ausübung des Ermessens verkannt. Die dem Wertersatzverfall unterworfenen 2.700 Euro sind bei dem Angeklagten gegenständlich und damit auch in seinem Vermögen vorhanden. Sie rühren im Ergebnis aus den abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten her, auch wenn es sich bei dem Bargeld nicht mehr um solches handelt, das ihm jeweils als konkretes Entgelt für die Veräußerung des Heroins von seinen Abnehmern übergeben worden ist. Es entspricht gerade dem mit dem Verfall und seinen Modifikationen verfolgten Gesetzeszweck, einem Straftäter jedenfalls dasjenige wieder zu entziehen, was er aus der Tat unrechtmäßig erlangt hat (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 241 und 245; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 16) und im Zeitpunkt der Anordnungsentscheidung als realer Vermögensgegenstand bei ihm noch vorhanden ist. Die Vermögensabschöpfung verfolgt insgesamt den Zweck, dem Straftäter deliktisch erlangte Vermögensgegenstände wieder zu entziehen und dadurch die durch die vorhandene Bereicherung des Straftäters verbundene Störung der Rechtsordnung zu beseitigen (BVerfG aaO, BVerfGE 110, 1, 18). Die mit dem Instrument der Vermögensabschöpfung auch angestrebte generalpräventive Wirkung, durch die Anordnung von Verfall oder seinen Abwandlungen der Rechtsgemeinschaft vor Augen zu führen, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden und Straftaten sich nicht lohnen (BVerfG aaO, BVerfGE 110, 1, 19 f.), würde verfehlt, wenn dem Straftäter noch konkret vorhandenes, deliktisch erlangtes Vermögen belassen würde. Schon deshalb durfte das Tatgericht sein Ermessen fehlerfrei dahingehend ausüben, nicht weniger als die aufgefundenen 2.700 Euro dem Wertersatzverfall zu unterwerfen.

c) Die Ablehnung der Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist ebenfalls beanstandungsfrei. Das Landgericht hat den Maßstab der „unbilligen Härte“ (dazu nur BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 178 und Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 jeweils mwN) zutreffend bestimmt und dessen Voraussetzungen für die vorliegende Konstellation ohne Rechtsfehler verneint.

 

StGB § 130 Mengen- und Kettenverbreitung von volksverhetzenden Schriften BGH, Beschluss v. 10. Januar 2017 – 3 StR 144/16 In Fällen der Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerkmal der Verbreitens dementsprechend mit der Weitergabe der Schrift an einen einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet. Nicht erforderlich ist, dass die Weiterverbreitung objektiv gesichert ist. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. November 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in Tateinheit mit zwei Fällen der Volksverhetzung in zwei Fällen, wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in Tateinheit mit Volksverhetzung in zwei Fällen sowie wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verfahrensrügen dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Auch die auf die Sachbeschwerde veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes: Zu Recht ist das Landgericht auch in den Fällen B.1.a) und b) sowie B.2.c) der Urteilsgründe von einem Verbreiten von Schriften im Sinne der § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 Abs. 5 Satz 2, Abs. 3 StGB ausgegangen. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen übermittelte der Angeklagte in den Fällen B.1.a) und b) der Urteilsgründe im Sinne der vorstehenden Delikte inkriminierte Texte an den Betreiber des im Internet unterhaltenen "J. -Blogs", damit diese über den Blog veröffentlicht würden. Ob es danach noch zu einer Veröffentlichung der von dem Betreiber empfangenen Artikel kam, hat die Strafkammer nicht feststellen können. Im Fall B.2.c) der Urteilsgründe versandte der Angeklagte einen Brief mit strafbarem Inhalt an B. , den er aufforderte, diesen "abzutippen" und einer möglichst großen Öffentlichkeit zukommen zu lassen. Anders als in zwei vorherigen Fällen, bei denen B. inkriminierte Briefe an zahlreiche Personen weiterverteilt hatte, blieb er nunmehr untätig. Diese Feststellungen belegen eine Verbreitung von Schriften durch den Angeklagten. Eine Schrift verbreitet, wer sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich macht, wobei dieser nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN). Eines Verbreitungserfolgs in dem Sinne, dass ein größerer Personenkreis tatsächlich von der Schrift Kenntnis genommen haben muss oder diese zumindest erlangt hat, bedarf es dabei nicht. Sowohl § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch § 130 Abs. 5 Satz 2, Abs. 3 StGB sind keine Erfolgs-, sondern Tätigkeitsdelikte (Matt/Renzikowski/Becker, StGB, § 90a Rn. 1; Matt/Renzikowski/Altenhain, StGB, § 130 Rn. 4; MüKoStGB/Steinmetz, 3. Aufl., § 90a Rn. 2; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 12; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 90a Rn. 2, § 130 Rn. 2a). Verbreiten ist daher die Verbreitungstä- tigkeit an sich, also auch schon das Auf-den-Weg-bringen der Schrift als erster Verbreitungsakt (vgl. bereits RG, Urteil vom 10. Oktober 1887 - Rep. C. 4/87, RGSt 16, 245 f.; Beschluss vom 29. August 1930 - 7 TB 62/30, 64, 292, 293; S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 184b Rn. 5a). In den Fällen der sogenannten Mengenverbreitung ist ein vollendetes Verbreiten dementsprechend bereits dann anzunehmen, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat (BGH, Urteil vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN). Auch in der - hier einschlägigen - Fallgruppe der Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerkmal mit der Weitergabe der Schrift an einen einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (st. bisherige Rspr.; vgl. bereits RG, Urteile vom 28. September 1883 - Rep. 1973/83, RGSt 9, 71, 72; vom 8. März 1921 - II 1560/20, RGSt 55, 276, 277; BGH, Urteil vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09, juris Rn. 27). Soweit hierzu in einzelnen Entscheidungen ausgeführt wird, die Weitergabe einer Schrift an einen einzelnen bestimmten Empfänger reiche noch nicht zur Tatbestandserfüllung aus, wenn nicht feststehe, dass dieser seinerseits die Schrift Dritten überlassen werde (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 - 2 StR 365/04, NJW 2005, 689, 690; Beschluss vom 16. Mai 2012 - 3 StR 33/12, NStZ 2012, 564; BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498, 1500), folgt hieraus nicht, dass zur Tatvollendung über die Weitergabe der inkriminierten Schrift vom Täter an seinen Empfänger hinaus objektiv gesichert sein muss, dass es zu weiteren Überlassungen der Schrift an eine oder mehrere Personen kommen wird. Andernfalls könnte die Weitergabe der Schrift an eine einzelne Person entgegen der Grundsätze zur Mengen- und Kettenverbreitung grundsätzlich nicht zur Verwirklichung des Tatbestands ausreichen. Denn eine derartige objektive Sicherheit für künftige Geschehnisse kann im Hinblick auf die stets vorhandenen Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung nicht belegt werden. Ein solches Verständnis ergibt sich aus den genannten Entscheidungen – auch im Hinblick darauf, dass dies eine Abkehr von der ständigen Recht- - 142 - sprechung schon des Reichsgerichts und diesem später folgend des Bundesgerichtshofs bedeutet hätte - indes nicht; es widerspräche zudem - wie dargelegt – dem Deliktscharakter von § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 Abs. 2 StGB. Die Ausführungen, es müsse feststehen, dass der Empfänger seinerseits die Schrift an Dritte weiterreichen werde, sind daher so zu verstehen, dass damit der im Zeitpunkt der (ersten) Übergabe der Schrift erforderliche Vorsatz des Täters im Hinblick auf den weiteren Kausalverlauf präzisiert wird. Ob insoweit für die Fälle der Kettenverbreitung zu verlangen ist, dass der Täter im Hinblick auf die Weiterverbreitung der Schrift durch seinen (unmittelbaren) Empfänger absichtlich handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498, 1500; S/SEisele, StGB, 29. Aufl., § 184b Rn. 5a; s. auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09, juris Rn. 27), oder ob in diesem Zusammenhang auch eine andere Vorsatzform ausreichen kann, bedarf keiner Entscheidung. Dass der Angeklagte in allen Fällen mit der Übersendung seiner Schriften deren Weiterverbreitung bezweckte, ist für die Fälle B.1.b) und B.2.c) der Urteilsgründe ausdrücklich festgestellt; im Fall B.1.a) der Urteilsgründe ergibt sich seine Absicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

 

StGB § 132 Kennzeichnung als Funktionsträger BGH, Beschluss v. 9. August 2016 – 3 StR 109/16 Als Inhaber eines öffentlichen Amtes gibt sich aus, wer auf seine Funktion als Amtsinhaber ausdrücklich oder konkludent, sei es auch nur durch eine allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger, hinweist; des Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle bedarf es nicht. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. August 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. November 2015 wird a) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls in 34 Fällen, des Betrugs in neun Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Amtsanmaßung, des Computerbetrugs in elf Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, sowie der Amtsanmaßung in zehn Fällen schuldig ist; b) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen. Insoweit fallen die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last; c) der Angeklagte im Fall II. 32 der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 34 Fällen, Computerbetrugs in 17 Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, wegen Amtsanmaßung in 16 Fällen sowie wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch Folgendes ergeben:

1. Die Verurteilung wegen Diebstahls in 34 Fällen, Betrugs in drei Fällen (Fälle II. 42-44 der Urteilsgründe) und Computerbetrugs bzw. versuchten Computerbetrugs in den Fällen, in denen der Angeklagte die gestohlenen EC- und Kreditkarten einsetzte, ohne zuvor die PIN von den Geschädigten zu erfragen (Fälle II. 14-17, 51-54, 60 und 65-66 der Urteilsgründe), erweist sich aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen als rechtsfehlerfrei.

2. Gleiches gilt für die jeweilige Verurteilung wegen Amtsanmaßung in den Fällen II. 6, 8, 12, 33, 35, 37, 46, 49, 57 und 59 der Urteilsgründe. Insoweit belegen die Urteilsgründe nach ihrem Gesamtzusammenhang, dass der Angeklagte nicht nur in den drei Fällen, in denen die Strafkammer die Telefonate mit den Geschädigten wörtlich wiedergegeben hat, so aufgetreten ist, wie aus den Verschriftungen ersichtlich, sondern auch in den übrigen Fällen. Er befasste sich daher mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von § 132 Alternative 1 StGB, indem er - ausdrücklich - auf seine angebliche Funktion als Amtsinhaber hinwies und sich so verhielt, als nehme er Aufgaben und Befugnisse der ihm verliehenen Amtsstellung - der eines Polizisten - wahr. Entgegen der Auffassung der Revision war auch schon eine allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger von Polizeigewalt ausreichend. Im Gegensatz zu § 132a Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die Verwendung einer dem Täter nicht zukommenden förmlichen Amtsbezeichnung erfasst, wird § 132 StGB maßgeblich durch die missbräuchliche Ausübung einer sachlich angemaßten Amtsbefugnis bestimmt, ohne dass es dabei auf die förmliche Bezeichnung oder überhaupt auf eine ausdrückliche Hervorhebung von Namen und Art des öffentlichen Amts ankommt; insbesondere bedarf es keines Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 3. April 2002 - 1 Ss 13/01, NStZ-RR 2002, 301, 302; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 132 Rn. 15; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 132 Rn. 4; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 132 Rn. 6; aA OLG Koblenz, Beschluss vom 9. März 1989 - 1 Ss 81/89, NStZ 1989, 268 mit ablehnender Besprechung Krüger, NStZ 1989, 477). Der Angeklagte hat sich amtlich betätigt. Insoweit genügt es, dass sein Handeln nach außen als Ausübung hoheitlicher Tätigkeit erscheint, wobei auf den Empfängerhorizont eines unbefangenen Dritten abzustellen ist (OLG Karlsruhe aaO; LK/Krauß aaO, Rn. 22 mwN). Abzugrenzen ist solches Handeln von einem rein privaten Auftreten oder erwerbswirtschaftlich-fiskalischer Tätigkeit; im Übrigen braucht es sich nicht um eine für den jeweiligen angeblichen Hoheitsträger zulässige Amtsausübung zu handeln (LK/Krauß aaO, Rn. 20 mwN). So verhielt es sich hier: Der Angeklagte behauptete in den Gesprächen, die Polizei habe die aufgefundenen Zahlungskarten - routinemäßig - sperren lassen, was sowohl im Rahmen der Fundsachenbearbeitung als auch zur Verhinderung von Straftaten in den Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörden fallen kann. Durch das Angebot in Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse diese Sperrung wieder rückgängig zu machen, spiegelte der Angeklagte nicht nur vor, eine "soziale Gefälligkeit" erbringen zu wollen, sondern vermittelte den Geschädigten, dass er - wenn auch in ihrem Interesse - sich amtlich betätigte. Dass das Landgericht in diesen Fällen nicht auch eine Strafbarkeit wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs geprüft hat, beschwert den Angeklagten nicht.

3. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts bedarf der Schuldspruch im Übrigen aber der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung. In der Antragsschrift heißt es: "In den Fällen, in denen der Angeklagte durch Täuschung der Geschädigten die PIN für die zuvor entwendeten EC-Karten in Erfahrung brachte (Fälle II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68), ist er indes nicht - wie das Landgericht mit der Begründung, nur die PIN, nicht aber die Bankkarten seien betrügerisch erlangt worden, angenommen hat - des Computerbetrugs sondern des Betrugs schuldig. Maßgebend ist insoweit, dass der Angeklagte den Geschädigten gegenüber einräumte, bereits im Besitz der Bankkarten zu sein und sie gleichzeitig darüber täuschte, wie er deren Besitz erlangt hatte. Indem diese ihm die PIN nannten, räumten sie ihm nicht anders als bei einer auf die gleichzeitige Erlangung des Besitzes an einer EC- oder Kreditkarte und der PIN gerichteten Täuschung (vgl. dazu BGHR § 263 Abs. 1 Konkurrenzen 6; BGHR § 263a StGB Anwendungsbereich 1; BGH NStZ-RR 2015, 337 ff.) oder der betrügerischen Erlangung nur des Kartenbesitzes in Fällen, in denen dem Täter die PIN bereits - wie der Geschädigte weiß - bekannt ist (vgl. OLG Jena wistra 2007, 236 f.), irrtumsbedingt die faktische Verfügungsmöglichkeit ein, die es dem Angeklagten ermöglichte, unter Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens anschließend die Geldabhebungen an den Geldautomaten zu tätigen. Dass der Angeklagte vortäuschte, die Bankkarten seien gesperrt, ändert daran schon deshalb nichts, weil er gerade vorgab, diese Sperrung alsbald selbst beseitigen und so die Verfügungsmöglichkeit wieder herstellen zu können. Der Angeklagte hat sich daher in den Fällen II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68 nicht nur wegen Amtsanmaßung - insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen II. 6, 8, 12, 33, 35, 37, 46, 49, 57 und 59 - sondern tateinheitlich wegen Betrugs strafbar gemacht." Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und stellt den Schuldspruch entsprechend um. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Soweit die Strafkammer ihn in den Fällen II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe (Fälle 3, 17, 21, 26, 60 und 65 der Anklageschrift) wegen Computerbetrugs verurteilt hat, war er hingegen zur erschöpfenden Erledigung der Anklage, die von tatmehrheitlicher Begehung ausgegangen war, freizusprechen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rn. 13).

II. Zum Strafausspruch gilt das Folgende:

1. Die mannigfachen Einwendungen der Revision gegen die Strafzumessung dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch; sie stellen vielmehr ganz überwiegend den im Revisionsverfahren unbehelflichen Versuch dar, eine eigene Bewertung der maßgeblichen Strafzumessungstatsachen an die Stelle derjenigen des dazu berufenen Tatgerichts zu setzen.

2. Der Teilfreispruch führt zum Wegfall der in den Fällen II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von zweimal acht Monaten, dreimal zehn Monaten und einmal einem Jahr.

3. Im Übrigen bedarf die im Fall II. 32 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von sieben Monaten der Änderung. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt: "Die im Fall II. 32 verhängte Einzelstrafe beruht auf einem offensichtlichen Fassungsversehen. Nach den Feststellungen ist durch die Tat ein Gesamtschaden in Höhe von lediglich 20 Euro entstanden. Das Landgericht hat die in den Diebstahlsfällen verhängten Einzelstrafen maßgeblich an der Schadenshöhe ausgerichtet und bei Schäden bis zu 100 Euro jeweils auf eine Freiheitsstrafe von vier Monaten erkannt. Umstände, die im Fall II. 32 ausnahmsweise eine höhere Strafe rechtfertigen könnten, sind weder im Zusammenhang mit der Strafzumessung dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt der (erfolglos gebliebene) Versuch, von der Geschädigten im Anschluss an den Diebstahl die PIN zu erfahren (Fall II. 33), keine höhere Einzelstrafe, denn in den jeweils nur mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten geahndeten Fällen II. 1, 11, 26, 27, 34, 36 und 38 bemühte sich der Angeklagte anschließend ebenfalls um telefonischen Kontakt zu der jeweils Geschädigten, konnte diesen auch teilweise herstellen und sie in den Fällen II. 1 und 27 sogar zur Preisgabe der PIN bewegen. Der Senat kann das Fassungsversehen dergestalt korrigieren, dass er auf eine Freiheitsstrafe von vier Monaten erkennt." Dem schließt sich der Senat ebenfalls an.

4. Der Wegfall bzw. die Herabsetzung der genannten Einzelstrafen lässt den Gesamtstrafenausspruch unberührt. Der Senat kann angesichts der verbleibenden 64 Einzelstrafen, die in der Summe annähernd 16 Jahre betragen, ausschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung der aufgezeigten Rechtsfehler auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal sich der Unrechtsgehalt insgesamt nicht wesentlich geändert hat: In den Fällen II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68 der Urteilsgründe ist zu der Verurteilung wegen Amtsanmaßung tateinheitlich der Schuldspruch wegen Betruges hinzugekommen, dessen Unrechtsgehalt mit demjenigen der Fälle II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe im Wesentlichen übereinstimmt.